Vorurteile durch Anonymität abschaffen?
Jeder Mensch hat Vorurteile. Es reicht ein einziges Foto einer Person und schon werden unsere Gedanken und Gefühle beeinflusst. Noch mehr beeinflussen Alter, Geschlecht, Familienstand und Herkunft die Entscheidungsprozesse in der Bewerbungsphase. Doch noch intensiver sind meistens die Vornamen Vorurteile.
Zugeben möchte dies kein Personalchef, doch genau die können sich in dich, als Bewerber, selten hineinversetzen. Du bist derjenige, der unter den tiefsitzenden Vorurteilen leidet, nicht das Unternehmen.
Um genau diese Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu verhindern und die Chancengleichheit für alle zu fördern, soll das anonymisierte Bewerbungsverfahren Abhilfe schaffen. Sind anonyme Bewerbungen sinnvoll? Ich möchte euch in den nächsten Minuten einige Vor- und Nachteile vorstellen.
Chancengleichheit für alle – ist eine anonyme Bewerbung die lang ersehnte Lösung?
Das von der Bundesregierung entwickelte anonymisierte Bewerbungsverfahren soll Unternehmen auffordern, ausschließlich die Leistung und Qualifikationen des Bewerbers für die Entscheidung hinzu zu ziehen.
So sollen Bewerber in einem standardisierten Prozess auf die Angabe sämtlicher persönlicher Daten (Foto, Herkunft, Name, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht sowie Familienstand) verzichten. Der erste Eindruck ist anonym und erst nach Einladung zum persönlichen Gespräch gibst du deine personenbezogenen Daten preis.
Bringt das Verfahren überhaupt etwas? – Bisherige Erfahrungen geben Aufschluss
Anonyme Bewerbungen sind schon lange Thema von Regierung und Unternehmen. Im Jahr 2011 startete die deutsche Antidiskriminierungsstelle ein Projekt: 9 Arbeitgeber und 1 Jahr das anonymisierte Bewerbungsverfahren.
Im Laufe des Projektjahres erhielten die Unternehmen insgesamt 8.500 anonyme Bewerbungen, knapp 250 Stellen wurden besetzt. Das endgültige Ergebnis des Pilotprojektes war, dass besonders die Chancen für Migranten und weibliche Bewerber gestiegen sind.
Was sagen die Chefs und was denken Bewerber?
Die meisten Unternehmen sind bezüglich des Erfolgs von anonymen Bewerbungen skeptisch. Ein Bewerber, der keine personenbezogenen Daten angibt, sei schwierig einzuschätzen. Aber seien wir mal ehrlich: Wofür braucht ein Chef zu wissen, wo ich geboren wurde? Um vielleicht schon im Voraus für sich zu entscheiden, ob ein Türke oder ein Pole schwerer auszubilden ist, als ein Deutscher?
Wenn das anonyme Bewerbungsverfahren mehr Chancen für Migranten und Frauen bietet, warum sollte dies dann nicht bei allen Unternehmen eingeführt werden? Die Frage ist möglicherweise, möchten Unternehmen überhaupt das Diskriminierungsproblem aufheben?
Anonyme Bewerbung: Vor- und Nachteile
Unbestritten ist der Vorteil einer anonymen Bewerbung, dass bei dieser Variante alle Bewerber dieselbe Chance auf die beworbene Stelle haben – auch Bewerber, die sonst mit vielen Vorurteilen kämpfen müssen.
Des Weiteren ermöglicht die Anonymisierung eine Effizienzsteigerung: Personalchefs erhalten einen Einblick über den Bewerber im komprimierten Stil, sodass die Sichtung vereinfacht und beschleunigt wird. Außerdem können Personalchefs sämtliche Eckpunkte schneller sichten und leichter vergleichen.
Anonyme Bewerbungen bieten unendlich Vielfalt, denn dadurch, dass keine persönlichen Daten preisgegeben werden, ergeben sich möglicherweise ganz neue Bewerbergruppen.
Neben den Vorteilen gibt es auch einige Nachteile. Fangen wir mal mit den Berufsanfängern unter euch an: Ihr habt in der Regel kaum beziehungsweise gar keine Berufserfahrungen/Qualifikationen, die ihr im Lebenslauf hervorheben könnt.
Außerdem denken Kritiker, dass sich am Diskriminierungsproblem nichts ändern würde, da dieser im Vorstellungsgespräch wieder aufgegriffen würde. Vonseiten der Unternehmen wäre das anonymisierte Verfahren ein enormer bürokratischer Aufwand.
Fazit – persönlich oder anonym?
Ich denke: Verlasst euch lieber auf eine aussagekräftige und fehlerfreie Bewerbung. Auch wenn es möglicherweise für dich als 35-jährige Mutter mit Migrationshintergrund zunächst so scheint, als ob du bessere Chancen hast. Spätestens beim persönlichen Treffen wird deine persönliche Lage klar.
Und auch wenn du einen Personalchef erwischt, der dich selbst bei einer normalen Bewerbung aufgrund von seinen Vorurteilen ablehnt, wird es ihn nicht daran hindern, dich nach dem Vorstellungsgespräch abzulehnen.
Es ist einfach immer besser, wenn du mit Individualität und Persönlichkeit überzeugst und es bringt nichts, diese bei der Bewerbung zu verstecken. Denn ich finde, genau das macht eine Bewerbung so einzigartig und eine individuelle, persönliche Bewerbung war schon immer und bleibt das beste Mittel für eine erfolgreiche Arbeitssuche.
Schließlich sucht dein potenzieller Arbeitgeber einen menschlichen Arbeitnehmer und keinen Roboter ohne Persönlichkeit. Was haltet Ihr davon? Habt ihr schon bei einem anonymisierten Bewerbungsverfahren mitgemacht, wie war’s?
HINWEIS: Dieser Artikel erschien zuerst in der deutschen Ausgabe der HuffPost. Leider wurde der Betrieb am 31.03.19 eingestellt.
Viel schlimmer ist mittlerweile die Altersdiskriminierung. Man kann ganze Präsentationen einreichen, aber wenn man zu alt ist, hat man verloren. Man wird sofort aussortiert, selbst wenn man die Anforderungen zu 100% erfüllt, passt man nicht ins Profil.